Interview mit Adèle Haenel
SIE HABEN IN FRANKREICH ZWEIMAL DEN CÉSAR ALS BESTE SCHAUSPIELERIN GEWONNEN, WAREN MEHRMALS IN CANNES IM WETTBEWERB EINGELADEN. WIESO WOLLTEN SIE IN EINEM DEUTSCHEN FILM MITSPIELEN?
Mir hat das Drehbuch gefallen. Die Mechanismen des Marktes sind mir ziemlich egal. Ich habe alle meine Filme aus dem Bauch heraus entschieden, und hier war es die Geschichte, die mich interessierte, natürlich auch der extreme Charakter der Figur. Ausserdem kannte ich Lars Eidingers Arbeit. Er ist in Frankreich berühmt, so wie das ganze zeitgenössische deutsche Theater sehr anerkannt ist. Ich hatte kurz zuvor in Paris in einem Stück von Marius von Mayenburg mitgespielt, dem Hausautor der Berliner Schaubühne, und da trugen alle Rollen die Namen der realen Schauspieler, Lars Eidinger war natürlich auch dabei.
UND WIE WAR DIE ZUSAMMENARBEIT MIT LARS EIDINGER AM SET?
Lars macht sehr viele Vorschläge, und das ist immer erfrischend. Wenn er beim Spiel unerwartet den Rhythmus wechselt, wenn sich in einer Szene die Betonung ein bisschen ändert – das fand ich sehr schön mit ihm. Auch, dass er so lustig sein kann. Das half mir, mich in der Fremde wohl zu fühlen. Natürlich fühlte ich mich nicht so frei und sicher, wie wenn ich auf Französisch drehe, vor allem, wenn es um Improvisation geht. Und wir haben immer wieder Improvisationen eingebaut, wenn wir das Gefühl hatten, dass die Szenen zu statisch werden. Lars war dann sozusagen der Motor dafür, dass ich ohne Worte reagieren und etwas Neues machen konnte. Und ich habe das Gefühl, dass er niemals isoliert für sich allein spielt. Was am interessantesten ist im Schauspiel, ist nicht, immer sein eigenes Leben zu reproduzieren, mit seinem eigenen privaten Gefühl – sondern das, was passiert, wenn man jemand Besonderen trifft, einen Partner im Spiel, und durch ihn etwas Unvorhergesehenes und Unerwartetes geschieht, etwas völlig Neues. Das finde ich am interessantesten an unserem Beruf, und das macht Lars sehr gut.
WIE WAR ES FÜR SIE, IN EINER FREMDEN SPRACHE ZU ARBEITEN?
Für mich war wichtig, dass ich diese Schwierigkeit des Sprechens nicht verbergen musste. Das macht keinen Sinn, das gibt keine Seele. Ich hatte zur Vorbereitung ein paar Filme mit französischen Schauspielern gesehen, die auf Deutsch gespielt haben, und meiner Meinung nach war das größte Problem, dass es keine Seele gab. Das war alles super-sauber, wie im Deutsch-Unterricht. Aber es ist auch eine Weise, sich als Darsteller zu schützen. Chris Kraus hat das verstanden, dass ich das nicht wollte, dass ich also eine Unsicherheit brauchte für die Figur. Wir haben das dann für die Figur benutzt. Er hing nicht an bestimmten Wörtern, die für mich zu schwer sind. So ging es ganz gut.
WIE HABEN SIE FÜR DEN FILM SO SCHNELL DEUTSCH GELERNT?
Ich hatte zuerst eine deutsche Lehrerin in Frankreich, mit der ich einige Monate gearbeitet habe. Danach bin ich nach Dresden gegangen und habe dort zwei Wochen verbracht und einen Abschluss am Goethe-Institut gemacht. Und dann bin ich nach Berlin zu den Proben gekommen und musste unentwegt Deutsch sprechen. Eine französische Assistentin wollte ich nicht, einen Dialogcoach auch nicht, ich wollte sprachlich total in dieses Land fallen. Dadurch habe ich viele Fortschritte gemacht. Voilá ...
WIE HAT SICH DIE ARBEIT IN DEUTSCHLAND VON DEN ABLÄUFEN IN FRANKREICH UNTERSCHIEDEN?
Das war hier neu für mich. Ich habe noch nie so gearbeitet. Am Anfang jeder neuen Szene machte Chris Kraus das Set frei, und wir probten die ganze Szene wie auf dem Theater. Manche Szenen waren sehr lang, d.h. wir haben diese Szene an drei Tagen stückchenweise gedreht – und am ersten Tag machten wir eine Probe für die ganze Szene, um den Rhythmus zu kriegen und einen Gesamtblick auf die Psychologie der Charaktere zu haben. Das ist schön. Ich finde das schön, dass man Zeit bekommt nur für das Spielen. Es ist aber natürlich ein ungeheurer Luxus.